Kapitel 5
Theredred muss sich rechtfertigen – Nebel im Tal – Die Höllenhunde greifen an – Rorek tanzt – Heldendasein – Durins Urteil.
Mit grimmiger Miene saß Theredred am Eingang der Mine und starrte gedankenvorloren in den Eingang, nachdem Kazgrim, der Dorfälteste, darin verschwunden war um zu beraten was die Ankunft der fremden Zwerge zu bedeuten habe.
Nachdem die Verlorenen auf Furlan gestoßen waren hatten sie schnell erfahren, dass Sven offenbar im Wald verunglückt war. Furlan, der mit Sven ursprünglich mitgegangen war hatte sich daraufhin entschieden, möglichst rasch ins Gebirge zu gehen und so war er im Dorf Bärenberg gelandet – und ebenso offensichtlich wollte er nur ungern darüber reden. Theredred hatte versucht, die ganze Geschichte aus Furlan herauszuholen aber da er nicht unbedingt zur Gewalt greifen wollte blieb es bei der Androhung derselben.
Nach einigem hin und her gelang es Harok schließlich Furlan zu überreden, sie alle nach Bärenberg zu bringen. Dort hatten sie einen der Dorfältesten aufgesucht und ihnen von ihren Verfolgern sowie dem Schicksal der Enklave im Wald berichtet. Dieser hieß sie zu warten und verschwand in der Mine um die anderen Ältesten zu suchen und sich mit ihnen zu beratschlagen. Furlan, der ihm folgen wollte, war barsch angewiesen worden zu warten.
So saßen sie jetzt seit bald einer Stunde hier und Theredred war sich nicht sicher ob das eine gute Sache war. Zuletzt waren die Drachenhunde nicht weit weg gewesen – mit jeder Minute, die verstrich, verringerte sich auch ihre Vorbereitungszeit. "Warum dauert das so lange, bei Friggs Dunkelheit?", murmelte er halblaut und sprang auf, weil er es einfach nicht mehr aushalten konnte, ruhig dazusitzen.
"Es dauert so lange es dauert.", antwortete Harok wenig hilfreich. Ordlin grinste dem Speerkämpfer zu und meinte dann: "Theredred, setz' Dich. Das Dorf gehört bereits zu Grims Fürstentum und die Bewohner sind aus seiner Sippe. Und die Norgrim sind ein bisschen anders als wir. Sie glauben fest daran dass es für fast alles ein vernünftiges Verfahren gibt. Sie müssen sich nur an das richtige erinnern. Also dauert es halt."
Theredred nickte und drehte sich dann zu Furlan um: "Na gut, dann nutzen wir die Zeit doch dafür. Furlan, erklär' uns doch mal, wie Du hierher gekommen bist und warum Du uns keine Truppen geschickt hast, was doch eigentlich Svens Plan gewesen ist, oder?"
Furlan sah zu Boden. Dann sagte er: "Ich habe doch überhaupt nichts zu sagen. Und außerdem kenne ich mich nicht aus. Sven wollte nach Roßtal gehen zur Festung. Das liegt näher als die Festung in Moria sagt er. Ich weiß aber nicht genau, wo. Daher habe ich beschlossen hierher zu gehen, weil ich bestimmt auch nicht zurückgefunden hätte."
Der letzte Nachsatz kam schon fast ein wenig trotzig. Theredred warf Ordlin einen Blick zu und dieser hob die Schultern. Furlan log, da waren sie sich sicher. Die Frage war nur was er ihnen verschwieg.
Ehe Theredred allerdings die nächste Frage stellen konnte erschienen die Dorfältesten. Kazgrim gab Theredred einen Wink und sagte: "Ich habe Euren Fall vorgebracht und wir sind nicht zufrieden mit Euren Schilderungen. Daher möchte ich Euch bitten, Eure Handlungsweise ausführlicher zu erklären, damit wir entscheiden können, was nun geschehen soll."
Theredred riss ungläubig die Augen auf und sagte: "Was geschehen soll? Ich werde es Euch gerne erklären: Wir werden verfolgt. Ein Feind aus den alten Tagen ist hinter uns her und wir müssen uns hier gegen ihn verteidigen."
Kazgrim hob erneut die Hand und unterbrach damit Theredred. "Ihr sagt, ein Feind verfolgt Euch. Ihr habt bislang aber nicht schlüssig bewiesen, dass es diesen Feind überhaupt gibt."
Theredred drohten fast die Augen aus den Höhlen zu quellen. Ordlin packte ihn bei der Schulter und sagte: "Ehrwürdiger Kazgrim, darf ich bitte sprechen?"
Kazgrim strich sich über den langen weißen Bart und fragte: "Wer seid Ihr?"
Ordlin verbeugte sich leicht. "Ordlin von den Verlorenen, zu Euren Diensten."
Mit einer Handbewegung forderte Kazgrim Ordlin auf, weiterzusprechen. "Wir sind von unserem König – Durin – in den Zwergenwald geschickt worden um dort eine Kolonie zu errichten und einen Stützpunkt für eine Straße, die möglicherweise auch Euer schönes Dorf eines Tages mit den Hallen unser aller Väter in Moria verbinden sollte. Wir wanderten also in den Zwergenwald und an einem See beschloss unser Anführer Sven, dass es Zeit sei, den Wald zu roden und an dieser Stelle ein neues Dorf zu errichten.
Doch einige Monate nach unserer Ankunft kehrte ein Kundschafter verletzt heim und starb in meinen Armen. Es war Fundin, Balins Sohn. Vor seinem Tod berichtete er von Bösem, das im Wald umginge. Unser Anführer Sven ergriff darauf die Flucht..."
"Das ist nicht wahr! Er wollte Hilfe holen!", rief Furlan und Ordlin machte eine kleine Verbeugung in Furlans Richtung. "Mag sein. Jedenfalls traf diese bisher nicht ein. Theredred hier nun hielt die übrigen Zwerge zusammen und wir errichteten eine Palisade um uns gegen den Feind zu schützen, der in den ersten Nächten nur zaghafte Vorstöße wagte und sich nicht zeigte. Dennoch brachte er manchen unvorsichtigen Zwerg um. Im Morgengrauen des dritten Tages schließlich griff uns der Feind in großer Zahl an und vernichtete das Dorf – und viel zu viele Zwerge mussten ihr Leben lassen. Nur wir neun überlebten. Seither befinden wir uns auf der Flucht, denn obwohl es uns in der Schlacht gelang einige der Feinde zu erschlagen so sind wir doch hoffnungslos in der Unterzahl – und wir haben keine Waffen. Theredred entschied schließlich hierher zu fliehen, weil wir keine Vorräte mehr haben und wir ersuchen Euch nun um Beistand und um Waffen."
Kazgrim dachte kurz nach, dann flüsterte einer der anderen Ältesten ihm etwas zu. Kazgrim nickte und fragte: "Junger Theredred, Ihr sagt also Ihr werdet von einem Feind verfolgt und wir wollen Euch das einmal glauben. Aber Ihr seid nun in Grims Land und kein Feind wird einfach so unsere Grenze überschreiten können. Also warum ersucht Ihr um Waffen und Beistand?"
Theredred räusperte sich und versuchte, seine Nerven zu beruhigen. Mit einem Verhör und vor allem diesen verschrobenen Zwergen hatte er nicht gerechnet. "Ich vermag Euren Glauben an die Sicherheit der Grenzen nicht zu teilen, ehrenwerter Kazgrim.", sagte er, "Schließlich sind wir ja auch ungesehen über die Grenze gekommen. Der Feind war zuletzt noch etwa acht Stunden hinter uns und wenn kein Wunder geschieht wird er auf unseren Spuren bleiben und in weniger als sechs Stunden hier sein. Dafür wollen wir gerüstet sein."
Der zweite Älteste hob die Hand und sagte: "Was genau gab Euch eigentlich das Recht uns hier in Gefahr zu bringen, wenn diese Gefahr so groß ist, wie Ihr beschreibt?" Theredred, der nicht gewillt war, sich hier ständig unterbrechen zu lassen starrte den alten Zwerg kalt an. Ein roter Bart bildete einen seltsamen Kontrast zu dessen bleicher Haut und Theredred verbeugte sich nur andeutungsweise als er antwortete: "Wir ersuchen um Hilfe, Meister. Ganz", fügte er hinzu, "wie es den Gesetzen des Königs nach jeder Reichsbürger einem anderen in Not angedeihen lassen muss."
Der Alte wurde rot und hob einen Zeigefinger. "Es steht aber auch in den Gesetzen geschrieben, dass kein Zwerg einen anderen wissentlich in Gefahr bringen darf, junger Theredred. Ihr Jungen solltet die Gesetze erst studieren und..." - "Lass gut sein, Fulgrim.", unterbracht Kazgrim seinen Kollegen, "Wir alle kennen die Gesetze und es bleibt die Tatsache, dass sie zuerst um Nahrung und Wasser baten."
Theredred verstummte auch und gab das Funkeln in den Augen von Fulgrim stumm zurück. Kazgrim seufzte und sagte: "Welcher Art ist der Feind, der Euch verfolgt?" Ordlin legte Theredred wieder die Hand auf die Schulter und mit einem inneren Schulterzucken gab er nach. Ordlin war ein alter Zwerg mit einem würdevollen Gesicht und einem langen, weißen Bart, der nun ein wenig zerzaust aussah, und zweifelsohne war er den Dorfältesten sympathischer als er selbst. Theredred trug sein rotes Haupthaar lang aber den Bart scherte er sich nach der aktuellen Mode eher kurz.
Ordlin nickte Kazgrim zu und sagte: "Es sind Drachenhunde, Kazgrim. Sie sind groß und hässlich, aber sie sind sehr stark und von durchtriebener Schläue wie der Fuchs. Unseren Holzwall überwanden sie mühelos. Wenn ihr Euer Dorf verteidigen wollt, dann müsst Ihr etwas Stabileres bauen und vor allem etwas, was höher ist."
Fulgrim schnaubte und Furlan ergriff das Wort: "Sie haben recht, ehrwürdige Älteste. Es sind Drachenhunde und sie haben schon fast hundert von unserem Volk abgeschlachtet." Ehe Theredred seiner Verwunderung Ausdruck verleihen konnte, dass ausgerechnet Furlan für sie Partei ergriff, fuhr dieser jedoch fort: "Aber sie sind nur hinter diesen Zwergen her. Vielleicht war die Siedlung in ihrem Territorium errichtet worden, das müssen erst die anstehenden Ermittlungen des Königs zeigen. Daher sollten diese Zwerge ein wenig Proviant bekommen und so schnell wie möglich weiterziehen, damit keine Bedrohung mehr für das Dorf und Euch selbst vorliegt. Sie sollten verschwinden und wir uns in die Mine zurückziehen bis der Sturm vorüber ist und..."
"Du bist doch der größte Feigling unter der ewigen Sonne!", schrie Theredred. "Was meinst Du denn, wird hier passieren, hm? Genau das Gleiche was im Wald geschehen ist. Sie werden kommen und sie werden töten. Alles und jeden! Wir müssen uns verteidigen oder wir gehen unter, kapierst Du das nicht?" Er trat einen halben Schritt auf Furlan zu der sofort einen ganzen zurückwich. Ordlin legte Theredred wieder die Hand auf die Schulter. Und schüttelte den Kopf.
Dann wandte er sich wieder an die Ältesten. "Theredred hat recht. Entweder wir kämpfen hier und heute oder wir sterben alle. Die Drachenhunde werden das Dorf nicht verschonen und wenn sie die Eingänge in Eure Mine finden, werden sie dort eindringen und jeden Mann, jede Frau und jedes Kind abschlachten, dessen sie habhaft werden können. Sie müssen uns nicht einmal sehen, sie können uns riechen. Sie speien Feuer. Sie führen Waffen. Dagegen können wir nur gemeinsam etwas ausrichten."
Kazgrim lehnte sich zurück und sah Fulgrim an, der vehement den Kopf schüttelte. Dann wandte er sich an den dritten Ältesten, der bislang nichts gesagt hatte. Es war ein reifer Zwerg, der aber deutlich jünger als seine Kollegen wirkte. Er hatte einen schwarzen Bart der ebenso wie sein Haupthaar von einigen Silberstreifen durchzogen war. Er musterte Theredred, Ordlin und Furlan kurz, aber sein Blick war scharfsichtig und Theredred spürte, dass er sich zu ihren Gunsten aussprechen würde.
"Nein, Kazgrim. Ich bin mir nicht sicher, wie wir das bewerten sollen, was diese Zwerge getan haben. Sie handelten aus Verzweiflung, aber sie handelten auch mutig. Sie gaben nicht auf. Vielleicht brachten Sie das Böse zu uns, aber vielleicht wären die Drachenhunde auch so gekommen. Jetzt sind wir gewarnt. Und ich rate dringend in den Schmieden zu prüfen, was wir zu unserer Bewaffnung unternehmen können. Die nächste Patrouille ist erst in drei Tagen vorgesehen und das dürfte zu spät sein. Wir haben kundige Bauleute unter uns, die sollten helfen eine Mauer zu bauen und wir sollten das Gelände zu unserem Vorteil nutzen."
Kazgrim nickte ihm zu und sagte: "Wohl gesprochen, Klugrim. Wie Ihr seht, Fremde, sind wir uneins und so muss ich wohl die Entscheidung treffen. Eine Flucht kommt nicht infrage – wir haben nicht die Genehmigung uns in eine andere Lage zurückzuziehen. Wir könnten uns in der Mine verstecken aber wenn wir Pech haben, dann werden wir alle alleine dort sterben. Also wählen wir den Kampf. Und wenn dies alles vorbei ist sollen Theredred und seine Kameraden gebunden und der Patrouille übergeben werden, auf dass Fürst Grim sein Urteil sprechen möge über ihre Taten."
Bei den letzten Worten sah er Theredred grimmig an, der sein Urteil mit einem Nicken akzeptierte.
Kazgrim fuhr fort: "Wir haben nicht viele Zwerge hier, aber erst gestern ist eine Karawane mit Proviant angekommen und so können wir unsere Zahl um weitere Dreizehn verstärken. Zehn arbeiten in der Mine, zwei sind für das Essen zuständig und acht helfen, Häuser zu bauen. Einer ist im Lager, wir drei – und Furlan. Das sind Achtunddreißig Zwerge und Ihr Neun. Wird das genügen?"
Theredred rechnete und antwortete: "Wir wissen nicht, wie viele uns folgen. Aber es muss genügen, Meister. Wenn wir uns mit einer Mauer verteidigen können, dann ist jeder Zwerg dreimal so viel wert. Je nach dem, welche Waffen wir vorfinden oder auf die Schnelle herstellen können."
Kazgrim stand auf und deutete auf ein Haus im hinteren Teil des Dorfes. "Dann sehen wir mal nach."
Sieben Stunden waren vergangen. Unter der fachkundigen Anleitung der Bauleute hatten die Zwerge eine Mauer aus Granitplatten errichtet und von innen Leitern aus der Mine dagegen gelehnt. Der Führer des Bautrupps, Seegrim, hatte das Werk grinsend angesehen und gemeint: "Das ist die schlechteste Mauer, die ich je errichtet habe. Wahrscheinlich die schlampigste Mauer des Reiches. Nicht glatt sondern mit vielen Griffen zum Klettern und wenn die in drei Tagen nicht einstürzt fresse ich meinen Hut. Aber sie wird erst einmal genügen, besonders wenn wir von oben Steine werfen."
Theredred hatte zustimmend genickt. Die Mauer durchspannte den gesamten Felseneinschnitt, etwa hundertfünfzig Schritt. Mittlerweile war sie acht Schritt hoch und einige besonders eifrige Zwerge begannen damit, oben eine kleine Brüstung zu errichten.
Beeindruckt von dem Bautempo hatte Seegrim nur mit den Schultern gezuckt. "Mit den Kamelen war das ein Kinderspiel. Mehr Sorgen mache ich mir um die Waffen. Deswegen werden wir jede Menge Munition nach oben schaffen. Niemandem sollen die Steine ausgehen."
Kazgrim hatte Seegrim auf die Schulter geklopft und war dann zu den Eisenbergleuten gegangen um zu sehen wie schnell diese vorankamen. Theredred hingegen hatte sich einen Korb für den Rücken geschnappt, ihn mit Steinen füllen lassen und war ebenfalls auf die Mauer gestiegen, aber eher um zu sehen wo der Nebel inzwischen war.
Der Nebel hatte sich im Tal gesammelt, verharrte allerdings dort und Theredred beschloss, einen der oben arbeitenden Zwerge zu bitten, den Nebel im Auge zu behalten. Dann ging er wieder hinunter um ebenfalls nach den Schmieden zu sehen.
Normalerweise dauerte es drei Tage, ein einfaches Schwert zu schmieden und eine Axt brauchte sogar noch länger, aber unter diesen Umständen waren die Schmiede bereit, weniger Sorgfalt walten zu lassen. "Ich übernehme aber keine Garantie, dass diese Spielzeuge lange halten. Es sind mehr Eisenknüppel. Das Metall ist schlecht verarbeitet und eher weich. Aber um einen unbehelmten Schädel einzuschlagen reicht das allemal.", warnte sie der Schmied und Theredred hob unbehaglich die Schultern. Lauter Provisorien. Aber vielleicht genügten sie ja.
Das alles war nun schon eine Weile her. Inzwischen war es dunkel geworden und im fahlen Mondlicht beobachtete Theredred auf der Mauer mit zunehmender Nervosität den Nebel, der noch immer im Tal unterhalb des Dorfes festhing und keine Anstalten machte zu ihnen hinauf zu ziehen.
Klugrim kletterte die Leiter hinauf und stellte sich dann neben Theredred. Er spähte ins Tal hinunter und sagte: "Noch immer keine Veränderung?" Theredred hob die Schultern. "Nein, keine." - "Was mag sie aufhalten? Vielleicht kommt doch Verstärkung?" Theredred lächelte. Der Gedanke war ihm auch schon gekommen. "Ich glaube nicht, Meister. Als sie uns überfielen haben sie auch die Nacht abgewartet und dann im Morgengrauen angegriffen." Klugrim nickte. "Das ist gar nicht dumm. Der Gegner hält die ganze Zeit Ausschau und verbringt die Nacht damit, Angst zu haben. Und am frühen Morgen sind dann alle müde und kämpfen schlecht. Vielleicht sollten wir die Wachen neu einteilen und nur zu zweit hier Wache halten, damit alle anderen schlafen können."
Theredred fröstelte. "Ja. Aber die Zwerge sollten bei der Mauer schlafen denn wenn Alarm gegeben wird brauchen wir sie sofort." Klugrim zwinkerte ihm zu und sagte: "Du denkst in den richtigen Bahnen, Junge. Auf Dich kommt sicher noch eine große Zukunft zu. Wenn wir überleben, natürlich. Ich kümmere mich darum. Bleib bitte hier bis ich Dich ablöse, ja?"
Damit stieg er die Leiter wieder hinunter und Theredred, dessen Gedanken in seinem Kopf hin und her wanderten, fiel keine klügere Entgegnung als "Ja, natürlich" ein.
Es wurde eine lange Nacht. Theredred wanderte vorsichtig auf der Mauer hin und her und sprach gelegentlich mit Harok, der die zweite Wache schob. Schließlich kam Ordlin mit Klugrim herauf und löste sie ab. Bevor er allerdings von der Mauer steigen konnte nahm Ordlin ihn zur Seite, gab ihm eine Wolldecke und sagte: "Furlan ist weg." Theredred hob eine Augenbraue. Nicht, dass er wirklich überrascht war aber trotzdem. "Tatsächlich? Schon wieder geflohen?"
Ordlin hob die Schultern. "Niemand weiß es. Er war beim Abendessen da und dann hat ihn niemand mehr gesehen. Vermutlich ist er in die Berge gegangen." - "Elender Feigling!", knurrte Theredred und stieg die Leiter hinunter. Ein paar Stunden Schlaf und sei es auch nur in eine Decke gewickelt in einem Winkel der Mauer schienen ein Segen zu sein. Mit Furlan konnte er sich später auseinandersetzen. Irgendwann.
Er suchte sich eine halbwegs windgeschützte Ecke und rollte sich in seine Decke. Dann schlief er ein.
Ein gellender Schrei weckte ihn. Theredred hatte die Augen kaum geöffnet als er schon ein widerliches Knacksen und einen dumpfen Schlag hörte. Er sprang auf und sah sich erschrocken und verwirrt um.
Der Nebel war da. So laut er konnte brüllte er: "ALARM!" und packte dann das Langmesser, das er gestern bekommen hatte und schob es sich in den Gürtel. Dann griff er nach dm Speer, der an der Mauer lehnte und ging in die Richtung aus der er den Schrei vermutet hatte.
Es war Ordlin. Sein Kopf lag in einem unnatürlichen Winkel und sein Körper war auf eine Weise verdreht von der Theredred übel wurde. Klugrim trat neben ihn und starrte auf die Leiche. "Er ist eingeschlafen. Ich auch. Ich verstehe das auch nicht... wir haben oben gestanden und der Nebel hat sich kaum bewegt und dann machte ich kurz die Augen zu und im nächsten Moment war der Nebel hier und ich sah gerade noch, wie Ordlin, der sich anscheinend zum Schlafen hingelegt hatte, von der Mauer gerollt war."
Theredred legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. "Wir waren auch müde als sie uns angriffen. Vielleicht ist das finstere Hexerei... Aber wir haben jetzt keine Zeit zu trauern. Sie sind sicher schon da. Los, auf die Mauer!", brüllte er die Zwerge an, die schlaftrunken angelaufen kamen.
Theredred stieg die Leiter hinauf und fragte sich, wie sie in dieser Suppe etwas sehen sollten. Ordlin hätte vielleicht einen Rat gehabt, aber jetzt... Seine Augen brannten aber er bemühte sich mannhaft die Tränen herunterzuschlucken – sie konnten jetzt keine Ablenkung mehr gebrauchen.
Von der Mauer aus schien es, als sei die ganze Welt verschwunden. Theredred hielt die Hand am ausgestreckten Arm vor sich und konnte sie noch gut erkennen. Aber als er nach unten sah konnte er den Boden bereits nicht mehr sehen. Das bedeutete, sie konnten höchstens sieben Schritt weit blicken – viel zu kurz um sich wirksam gegen einen Angriff zu schützen.
Er spähte in das unendliche Weiß vor sich und glaubte, Schatten zu erkennen. Sicher war er sich nicht – seine Augen mochten ihn narren und seine Angst gab seinen Sinnen schlechten Rat. Wenn diese Schatten wirklich waren so waren sie viele. Aber vielleicht waren es gar nicht so viele... Theredred schüttelte sich und klopfte mit seiner Faust gegen seinen Kopf. Er musste klar denken, verdammt!
Da sah er ein rötliches Glühen unter sich und ohne nachzudenken ergriff er einen Stein und warf ihn. Es gab einen dumpfen Aufprall und dann
fauchte etwas dort unter ihm. Kurz darauf flog ein Stein nur knapp an seinem Kopf vorbei.
"Duckt Euch!", rief er und die Zwerge duckten sich hinter die schmale Brüstung währen ein wahrer Hagel von Steinen auf sie niederprasselte. Einer der Schmiede späte über die behelfsmäßige Brüstung nach unten und wandte sich Theredred zu, wollte etwas rufen aber bevor er auch nur einen Ton sagen konnte prallte ein großer Stein, sicher halb so groß wie Theredreds Kopf gegen den seinen und er flog ohne einen Laut nach innen von der Mauer.
Theredred riskierte selbst einen kurzen Blick und erschrak: Dort unten schien es zu wimmeln und vier der Gestalten begannen gerade, die Mauer hochzuklettern. Er packte seinen Speer und rief: "Sie klettern hoch! Erstecht sie, macht sie fertig!"
Er ließ seinen Worten Taten folgen und stach mit dem Speer nach unten, wohl wissend, dass die Kreatur noch nicht in seiner Reichweite war. Er wollte sie auch nicht unbedingt treffen, ihm genügte es schon, wenn sie ein wenig zurückwich und dabei vielleicht den Halt verlor. Stattdessen zuckte der mittlere Kopf zu ihm und Theredred sah das Glühen und warf sich rechtzeitig wieder in Sicherheit, als eine Stichflamme nach oben zuckte.
Er ließ den Speer fallen und griff stattdessen nach einem schweren Stein, den er über die Brüstung rollte. Ein weiterer dumpfer Aufschlag und ein schmerzhaftes Heulen waren ihm Belohnung genug. Er kroch ein wenig seitwärts als genau auf seine Position Unmengen von Steinen geworfen worden. Und als er außer Gefahr war warf er einen weiteren Blick über die Brüstung. Die Kreaturen griffen ziemlich mittig an, schien es. Sie ignorierten die Mauer an den Rändern sondern schienen sich darauf zu konzentrieren die Mauer zu überwinden und das wiederum war keine sonderlich kluge Taktik. Es sei denn... Theredred kroch zu Klugrim und sagte: "Viellicht versuchen sie an den Rändern durchzubrechen. Sieh Du links nach, ich gehe nach rechts." Er wandte sich um und blickte nochmal kurz hinter sich. "Meister."
Klugrim grinste, hob eine Hand und schlich dann geduckt die Mauer entlang. Theredred tat es ihm gleich und hoffte, dass ihn nichts treffen und von dem wackligen Konstrukt werfen würde. Er hatte vielleicht zwanzig Schritt getan als ein unbeschreibliches Poltern hinter ihm ertönte. Durch den Nebel vermochte er es nicht zu sehen aber er wusste auch so was passiert war: Ein Teil der Mauer war zusammengebrochen.
Theredred drehte um und lief wieder zurück. Sie mussten jetzt zusammenstehen und versuchen die Bresche zu verteidigen, komme was da wolle. Als wäre der Sturz der Mauer das Zeichen gewesen ertönte von unten plötzlich ein Signalhorn. Die Kreaturen bliesen zum Angriff!
Rorek schnaufte und fluchte als er zum dritten mal in dieser Nacht über eine Wurzel stolperte. Sie jagten Theredred und den Drachenhunden nach und Balin duldete kaum Ruhepausen. Für ihn als jungen Zwerg war es schon schwer genug aber einige der älteren – insbesondere Alrik – schienen langsam aber sicher an ihre Grenzen zu geraten.
Doch Balin kannte keine Gnade. Selbst schien er trotz seines Alters den Lauf kaum zu spüren, ja er spurtete wie ein junger Hirsch über Hindernisse und Wurzelwerk, ließ sich von Unterholz und Gebüsch nicht aufhalten. Notfalls griff er zum Schwert aber er walzte durch den Wald wie eine Naturgewalt.
Die anderen folgten seinem Kurs und das nun schon seit mehr als einem Tag. Das Jagdfieber, das sie zunächst angetrieben hatte und das einem Zwerg vielleicht die Kraft schenken mochte ungerührt stundenlang zu laufen, war mittlerweile vergangen. Sie schwitzten und waren müde und sie begannen zu stolpern und Fehltritte zu machen.
Schließlich erreichten sie eine kleine Anhöhe und Balin blieb stehen. Der Rest der Gruppe hielt ebenfalls an, die meisten keuchten und Alrik setzte sich ganz unverhohlen hin, dankbar für die Rast. Rorek schnaufte und trank einen Schluck Wasser. Dann reichte er seine Flasche Alrik der sie dankbar nahm und gierig austrank. Rorek zog eine Grimasse und warf die Flasche hinter sich ins Gebüsch. Wenigstens war er so wieder ein Gepäckstück los.
Balin wandte sich seiner Gruppe zu und musterte sie kritisch. Rorek hatte das Gefühl der alte Zwerg würde nicht einmal schneller atmen. Wie konnte ein solches Bierfass eine solche Konstitution haben? Hinter Balin steckte mehr als er anfangs gedachte hatte, das war Rorek inzwischen klar und Rorek begriff auch welche Weisheit Balin zeigen konnte ohne sie wirklich zu zeigen, aber dieser Beweis von körperlicher Unverwüstlichkeit machte ihn dann doch betroffen. Balin zeigte auf Thurgrom und fragte: "Fühlst Du Dich kräftig genug um auf einen Baum zu steigen?"
Thurgrom nickte. "Dann verrate uns, wie weit der Feind noch entfernt ist." Thurgrom legte seinen Schild und seinen Gürtel ab und begann den nächsten Baum zu ersteigen. Kurz darauf kam er wieder herunter und sagte: "Der Nebel scheint sich vor dem Gebirge zu sammeln und dort zu bleiben, Herr." Seine Stimme klang tonlos und das wunderte Rorek nicht. Thurgrom war überhaupt sehr einsilbig geworden und schien Balin den Tod von Gwedin irgendwie vorzuwerfen. Balin nickte und fragte: "Und wie weit sind wir entfernt?" - "Ich würde schätzen zehn Wegstunden, sieben wenn wir weiter so schnell unterwegs sind.", sagte Thurgrom und wies mit dem Kinn unauffällig auf Oldor, der an einen Baum gelehnt schlief.
Rorek lächelte. Einige der Gruppe hatte er mittlerweile kennengelernt und wenn Oldor eines konnte, dann war es schlafen. Er schlief gern und viel aber wenn er wach war war er ein äußerst amüsanter Zeitgenosse. Überhaupt waren einige der Zwerge ihm regelrecht ans Herz gewachsen, so wie Ortosch, der Lautenspieler und selbst Thurgrom, der mit der Flöte regelrecht zu verzaubern wusste, auch wenn er sonst den Finsterling gab. Oder Cadrix der Lebemann – ein Glücksspieler der durch sein Leben zu gehen schien als wäre das alles ein Kartenspiel und er habe grundsätzlich die besten Karten.
Aber vor allem Alrik, der Rorek, so schien es ihm jedenfalls, erst in den vergangenen Wochen beigebracht hatte was er eigentlich schon alles hätte wissen müssen um als Zwerg seinem König zu dienen. Der ihn die Sehnsucht nach fernen Ländern gelehrt hatte und weit mehr als er jemals sagen könnte. Und nun zogen sie in den Krieg und niemand wusste, ob sie überleben würden.
Dern hob die Hand und sagte: "Balin, bei allem Respekt, aber wir können kaum noch einmal zehn Stunden hinter dem Feind herlaufen. Wir müssen uns ausruhen. Selbst wenn wir den Feind einholen, werden wir nicht genug Kraft haben um ihn zu bezwingen. Wenigstens drei Stunden würde ich sagen."
Balin schüttelte den Kopf. "Das kommt überhaupt nicht in Frage. Wir müssen den Feind stellen bevor er das Dorf erreichen kann. Bärenberg ist nur eine kleine Enklave und ich hatte schon das zweifelhafte Vergnügen die Dorfältesten kennenzulernen. Wenn die mit solchen Wesen konfrontiert werden sind alle des Todes."
Dern wies in einer großen Handbewegung auf die gesamte Gruppe und sagte: "Balin, sei vernünftig. Du bist zwar mit Wachen, aber nicht mit schlachterprobten Zwergen ausgeschickt worden. Wir schaffen es nicht hinter diesen Kreaturen herzulaufen und ihnen am Ende noch eine Schlacht zu liefern. Außerdem sind sie bereits kurz vor dem Gebirge. In zwei oder drei Stunden werden sie das Dorf ohnehin angreifen und wenn die Dorfbewohner und die Überlebenden nichts für ihre Verteidigung getan haben, werden sie so oder so tot sein bis wir dort ankommen."
Kopfschüttelnd trat Balin auf ihn zu. "Das werden sie nicht. Sie warten bis zum Morgen und greifen dann an. Das haben sie schon im Wald getan oder hast Du Theredreds Brief vergessen?
Auch am nächsten Tag verzog sich der Nebel nicht und im Schutz der weißen Wolke griffen uns die Drachenhunde in großer Zahl an. So schrieb es Theredred. Sie warten bis zum Morgen und dann schlagen sie zu. Bis zum nächsten Morgen sind es noch elf Stunden. Wir schaffen es vorher."
Dern schnaubte und fragte: und wie, Balin? Du bist unser Führer und unser General. Du kannst unser Leben fordern, das mache ich Dir nicht streitig. Aber wir kommen da niemals hin weil wir zu langsam sind. Wir haben kaum mehr Kraft!"
Balin nickte. "Ja, das sehe ich. Nun gut." Er löste einen Trinkschlauch von seinem Gürtel und warf ihn Dern zu. "Jeder Mann soll davon trinken. Aber nur einen Schluck, hörst Du? Nur ein Schluck – und dann marschieren wir weiter. Den Rest bringst Du mir wieder."
Dern sah Balin zweifelnd an warf dann den Männern einen Blick zu. Er schraubte den Metalldeckel von dem Schlauch, nahm einen Schluck und setzte wieder ab. Dann straffte er die Schultern, schüttelte sich und strich sich den Bart. Balin grinste und winkte ab als Dern etwas sagen wollte und Dern begann stattdessen den Trank zu verteilen.
Rorek war von der Wirkung verblüfft. Er spürte regelrecht wie ihn neue Kraft durchflutete, sein Bart schien sich zu kräuseln und seine Schultern strafften sich. "Ein Zaubertrank!", sagte er verwundert und Balin lachte. "Wohl kaum, mein Junge. Nur ein wenig elfische Arznei. Durin gab mir einen Schlauch davon mit. Er hat das von irgendeinem Gesandten bekommen und meinte es wäre nicht dumm, wenn ich ein wenig Kraft in Reserve hätte. Nun scheint es mir eher, als bräuchtet Ihr Kraft."
Rorek lächelte. Deswegen also war Balin so unverwüstlich. "Seid sparsam damit.", sagte Balin und wurde wieder ernst. "Das ist der einzige Vorrat den ich habe und bislang wurde nichts verbraucht. Es sollte aber für einen Schluck für jeden reichen bevor wir in den Kampf ziehen."
Also zogen sie weiter. Rorek fühlte sich frisch wie an einem jungen Morgen nach einem erholsamen Schlaf in den Armen einer kräftigen Maid und ihm machte auch das Gelände nicht mehr zu schaffen. Er lief neben Gottri her und konzentrierte sich hauptsächlich auf das Atmen. Was auch immer sie erwarten mochte, sie waren dem Feind auf der Spur. Und sie würden ihn zur Strecke bringen. Theredred hatte bewiesen, dass man sie erschlagen konnte und Rorek freute sich regelrecht darauf, den Gegner endlich zu stellen. Er hatte zwar keinerlei Kampferfahrung, aber natürlich trotzdem das Training mit Axt, Schild und Schwert gemacht.
Man sagt den Zwergen ja nach, dass sie nur mit der Axt zu kämpfen verstünden aber viele Zwerge nutzten Schwerter, wenn auch ungern. Das Schwert war einfacher zu handhaben, aber es war viel weniger vernichtend, wenn es traf. Dennoch hatten die langen Kriege gegen die Menschen sie gelehrt, dass auch das Schwert in der Hand eines erfahrenen Kämpfers eine gefährliche Waffe sein konnte.
Durin ließ seine Schmiede beides herstellen und zudem Kriegshämmer. Diese waren grobschlächtig, aber sie entfalteten selbst auf einem Plattenpanzer eine unangenehme Wirkung – jedenfalls für den Getroffenen.
So hing Rorek seinen Gedanken nach und folgte Kettri während sie in einer Zweierreihe weitermarschierten und das Stunde um Stunde. Sieben Stunden nach ihrer Rast hob Balin die Hand und mit ein wenig Verzögerung blieben sie wieder stehen.
Vor ihnen endete der Wald und wenig weiter war der Nebel zu erkennen – eine undurchdringliche Wolke, die auf Abwege geraten war. Die Zwerge verteilten sich und blickten in die weiße Wand. Die Sonne begann gerade aufzugehen. Balin blickte in die Dämmerung und sagte: "Wir ruhen uns nicht aus. Macht Euch nichts vor – wir sind noch zwei oder drei Stunden entfernt. Aber wenn wir den Nebel erreichen machen wir wahrscheinlich eine Pause."
Sie liefen weiter. Kaum eine Stunde war vergangen, als sie Schreie hörten. Sie kamen zu spät. Balin ließ sie anhalten und zog den Schlauch aus dem Gürtel. "Jeder nur einen kleinen Schluck, verstanden? Es wird so kaum reichen." Sie tranken und Balin leerte den Rest – es war wirklich kaum mehr als ein Schluck.
Rorek spürte erneut die seltsame Wirkung des Trankes und alle Müdigkeit fiel wieder von ihm ab. Balin setzte seinen Helm auf und alle folgten seinem Beispiel. Dann rief er: "Nun aber vorwärts, Ihr Höllenhunde! Wollt Ihr ewig leben?"
Sie rannten los.
Rorek war erstaunt wie schnell eine Gruppe von Zwergen werden konnte wenn es hart auf hart kam. Sie rannten und Rorek selbst fühlte sich als ob er in einer schnellen Kutsche saß. Seine Füße berührten kaum den Boden und dieser zog mit einer aberwitzigen Geschwindigkeit dahin ; Kurzum: Rorek fühlte sich gut.
Sie rannten und rannten und nach einiger Zeit sah Rorek wie Gorm sein großes Trinkhorn ergriff und im Laufen mit dem Schwert die Spitze schräg abhaute. Dann blies er laut darauf und in dem Lärm den er damit verursachte schrie Balin: "AUF SIE! AUF SIE, DURINS HÖLLENHUNDE KOMMEN!" und dann sah Rorek eine schattenhafte Gestalt, schlug zu und die Hölle brach los.
Durins Höllenhunde brachen wie finstere Dämonen über die Schlacht herein. Die Dorfbewohner hatten schwere Verluste zu verzeichnen, nicht nur weil manche Waffen nach dem ersten Einsatz zerbrachen sondern auch weil viele entsetzt zurückwichen als sie das erste mal mit einer Kreatur wie den Drachenhunden konfrontiert wurden.
Theredred gelang es kaum, die Truppen zusammenzuhalten. Als das Signal ertönte war den meisten Zwergen klar, dass sie sterben würden. So brüllten die meisten Verwünschungen und Ihre Angst heraus und stürzten sich auf den Feind. Theredred, der noch oben auf der Mauer stand war sich darüber klar, dass er nicht rechtzeitig herunter kam, also griff er nach Steinen und warf diese. Als ihm die Steine ausgingen schleuderte er seinen Speer.
Es waren gar nicht so viele. Theredred schätzte zwölf. Aber sie waren größer, stärker und schneller als die Zwerge. Harok wurde herumgewirbelt und flog in Theredreds Sichtkreis und gleich wieder hinaus. Theredred schlitterte die Leiter hinunter, zog das Langmesser und stürzte sich in dem Kampf.
Rorek atmete schwer. Sie rannten in die Schlacht! Er konnte nichts sehen und lief weiter und plötzlich schälte sich vor ihm ein riesiger Schatten heraus, der mit einem einzigen Schwung seines Hammers anscheinend mehrere Gegner vernichtete. Theredred brüllte und rannte los.
Rorek erreichte mit den andern den Nebel. Plötzlich hörte er Balin irgendwo rechts schreien: "Durin!
Baruk durinad ai-mênu!" und nahm selbst den Ruf auf: "Durin! Die Äxte Durins sind über Euch!" Zwanzig Kehlen brüllten den Schlachtruf und sie überrollten das Schreien der Verwundeten und das Knurren der Angreifer.
Rorek sah Alrik vor sich aufragen in der für ihn charakteristischen Panzerung aber ehe er ihn erreichen konnte traf Alrik ein Hammerschlag und er wurde von seinen Füßen gefegt. Schreiend flog Rorek geradezu zu Alriks Körper und sah ihn blutüberströmt im Gras liegen.
"Alrik!", rief Rorek und nahm seinen Helm ab. Alriks Panzer war von dem Treffer regelrecht zerbröselt worden. An den Rändern der Rüstung sickerte Blut heraus. Rorek warf den Helm weg und kniete neben Alrik. Alrik hob die Hand und versuchte ihn wegzuschieben aber Rorek ignorierte seine Bemühungen und hob Alriks Kopf vorsichtig an, um ihm den Helm auszuziehen.
Alrik hustete und spuckte ein wenig Blut. Dann sah er Rorek an und sagte fest: "Der Kampf ist noch nicht vorbei. Lass mich hier liegen und diene Deinem König. Los, verschwinde!" Er machte eine abwehrende Geste und Rorek stand auf. Mit einem letzten Blick auf Alrik hob Rorek das Schwert auf und wandte sich dem im Nebel tobenden Kampf zu.
Er machte ein paar Schritte und ließ die Klinge langsam durch die Luft pfeifen. Und als der erste Schatten sich aus dem Nebel zu schälen begann fletschte er die Zähne. Er begann zu tanzen.
Die Klinge wirbelte durch den Nebel und Rorek schritt voran. Ohne den Helm sah er wesentlich mehr und ihm entging der Schlag des Kriegshammers keineswegs. Er duckte sich im letztmöglichen Moment ein wenig auf die Seite und als der Hammer vorbeizischte machte er einen halben Schritt nach vorne und führte einen geschwinden Hieb auf die Gestalt aus. Er drehte sich um die eigene Achse, tänzelte hinter die Kreatur und schlug erneut zu.
Der Drachenhund brüllte und drehte sich um aber Rorek war bereits einen Schritt zurückgewichen und so verfehlte ihn der ungezielte Schlag mit dem Arm. Er warf sich nach vorne, die Klinge ein verlängerter Teil seines Armes und stach mit der Spitze in den weichen Bauch der Kreatur, die schmerzvoll aufjaulte und sich versteifte. Rorek konnte den Feuerschein in ihrem mittleren Maul sehen und statt zurückzuweichen machte er noch einen Schritt auf sie zu und schob das Schwert ganz ihn ihren Körper.
Das Feuer erlosch bevor es richtig entstanden war und er zog sich zurück und das Schwert aus dem Körper des Drachenhundes, als dieser umfiel. Dann wandte er sich um und suchte sich den nächsten Feind.
Lange musste er nicht suchen. Ein paar Schritte weiter schrie ein Zwerg und Rorek erkannte im Nebel die schemenhafte Gestalt eines Zwerges, der einen langen Spieß oder Speer in den Händen hielt und diesen einem Drachenhund in den Leib rammte. Er lief auf die beiden zu und hielt auch nicht inne als die Gestalt von einem fürchterlichen Hammerschlag getroffen wegflog sondern stürzte sich regelrecht auf den Drachenhund, schwang das Schwert und hieb der Bestie mit einem gewaltigen Schlag eines ihrer Gliedmaße ab. Sie brüllte, aber Rorek gab ihr keine Zeit zurückzuschlagen, drehte sich erneut um die eigene Achse und stieß ihr das Schwert in den Rücken. Er zog es heraus und als sich das Biest umdrehte, verletzt und möglicherweise schon fast tot, da tanzte er einen federnden Schritt nach vorne, ließ sich auf die Knie fallen und stieß das Schwert mit aller Macht nach oben.
Mit einem klagenden Schrei brach die Kreatur zusammen und Rorek rollte sich auf die Seite um nicht unter ihr begraben zu werden. Dann stand er auf, machte einen halben Schritt und verneigte sich spöttisch. Er suchte sich den nächsten Gegner...
Als Balin dem letzten Drachenhund sein Schwert in den Kopf rammte und die Kreatur röchelnd zusammenbrach verschwand der Nebel schlagartig. Balin schlug ihr die beiden anderen Köpfe ab um sicherzugehen, dass dieser Drachenhunde nie mehr aufstehen würde und sah sich dann um.
Was er erblickte erschütterte ihn. Auf dem Feld lagen Dutzende Leiber von Zwergen und Drachenhunden durcheinander. Sie hatten sie besiegt, ja, aber die Verluste waren hoch gewesen. Wenigstens sah er auf Anhieb keine gerüsteten Zwerge auf dem Boden liegen. Allerdings jede Menge Bärenberger.
Dern kam auf ihn zugestapft. Er würdigte die Toten keines Blickes sondern sah Balin fest und grimmig an. "Wie schlimm ist es?", fragte Balin und wappnete sich. Dern wies auf das Schlachtfeld. "Was meint Ihr wohl, Meister? Von den Bärenberger Zwergen leben nicht mehr sehr viele und diejenigen, die noch leben werden auch bald tot sein. Niemand ist unverletzt geblieben. Bislang habe ich nur einen von uns gefunden – Alrik. Rorek ist bei ihm aber Du solltest auch rasch hingehen. Es wird nicht mehr lange dauern. Ich werde die anderen suchen und zu Euch schicken."
Balin nickte und sagte: "Ich gehe sofort. Such Theredred oder die Dorfältesten, wenn Du sie finden kannst." Dern nickte und sie machten sich auf den Weg. Balin begegnete vielen Toten aber keinem einzigen Verwundeten. Er stieg über die Leichen hinweg und bemühte sich, nicht allzu genau hinzusehen wenn er über abgeschlagene Gliedmaße oder zerschmetterte Köpfe steigen musste.
Schließlich erreichte er den knienden Rorek und trat zu Alrik. Alrik war tödlich verletzt, das sah er gleich. Und doch klammerte sich der alte Zwerg an sein Leben und redete beschwörend auf Rorek ein. Rorek hatte ganze Arbeit geleistet. Vier tote Drachenhunde lagen hier verstreut aber kein einziger Zwerg außer Alrik. Roreks Rüstung war völlig von Blut besudelt und sein unbehelmter Kopf war ebenfalls rot vom Blut seiner Feinde.
Schließlich ließ sich Alrik zurücksinken und Rorek drückte dem Alten kurz die Hand. Dann ging er zu Balin. "Wenn Ihr Euch verabschieden wollt, dann tut es, Meister. Er liegt im Sterben aber noch ist er nicht tot."
Balin nickte und wies auf Rorek. "Und was ist mit Dir?" - "Mir fehlt nichts. Nicht einmal ein Kratzer. Bevor wir richtigen Feindkontakt hatten ist Alrik gleich... Aber mich hat das Schicksal verschont. Warum auch immer." Balin legte Rorek die Hand auf die Schulter und sagte: "Das wissen wir nicht. Vielleicht ist Alriks Zeit einfach gekommen. Ich werde jetzt mit ihm sprechen. Ruhe Dich ein bisschen aus."
Rorek setzte sich auf einen Findling in Alriks Nähe während Balin mit Alrik sprach. Nach ihrem Gespräch wirkte Alrik wesentlich friedlicher. Er atmete nach wie vor mühsam aber er schien ruhiger zu werden. Balin blieb bei Alrik stehen und nach und nach kamen Durins Höllenhunde vom Schlachtfeld. Rorek gesellte sich zu ihnen.
".. und Thurgrom. Wir haben noch nicht alles gefunden aber es ist sein Körper und seine Rüstung.", schloss Gorim untypisch wortreich und Rorek schloss kurz die Augen. Balin nickte grimmig und sagte: "Mit Alrik sind das drei von denen wir nun wissen. Bitte seht nach ob ihr im Dorf oder in der Mine etwas findet, was wir als Trage benutzen können. Wir sollten Alrik ins Dorf bringen, damit er alles hat, was er braucht."
Gorim nickte und gab den anderen einen Wink. Balin winkte Rorek zu sich und fragte: "Was hat Alrik zu Dir gesagt?" Rorek sah auf den alten Zwerg hinab. Er schien zu schlafen. "Dass er sich einen Heldentod gewünscht habe und nun sei sein Wunsch eben in Erfüllung gegangen." Balin folgte Roreks Blick. "Da hat er recht." Rorek schüttelte den Kopf. "Nein, das denke ich nicht. Er liegt da und muss grässliche Schmerzen haben. Seine Brust ist zerschmettert und ich habe Bruchstücke seines Panzers in seinem Körper gesehen. Er wollte aber nicht, dass ich sie herausziehe. Sein Tod war plötzlich und dauert nun noch an. Nichts von der Schönheit des Heldentodes aus den alten Geschichten, nur Kummer. Und Leid."
Balin lächelte traurig. "Ja, Rorek. Der Heldentod ist nichts weiter als ein jämmerliches Verrecken auf einem blutigen Feld, einsam und fernab von Familie und Heim. Aber wir werden ihm ein gutes Ende bereiten. Vielleicht werden die Sänger einst über ihn etwas dichten." - "Aber es wird nicht die Wahrheit sein." - "Doch, Rorek. Du erkennst das jetzt noch nicht aber er hat es erkannt. Die Wahrheit ist nicht das, was Du siehst oder das, was er spürt. Die Wahrheit ist, dass er sein Leben gab um das Reich und unsere Höhlen zu schützen. Darum wird er mit einem Lächeln auf den Lippen zu den Hallen seiner Sippe aufbrechen und Geschichten über seine Taten erzählen können."
Rorek hob seine Schultern. "Wenn es ihm ein Trost ist, dann ist das gut. Mir ist es keiner." Balin legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wir, die wir zum weiterleben verdammt sind, müssen uns erinnern und dafür sorgen, dass niemand je vergessen wird, was jene, die für uns starben, taten und wer sie waren."
Vier der Zwerge kehrten mit einigen Brettern zurück und sie hoben vorsichtig und sanft den alten Alrik darauf, um ihn ins Dorf zu tragen. Dort standen die meisten Häuser noch. Balin ließ Alrik in eines der Häuser tragen und sie bahrten ihn dort auf. Während Balin die anderen Zwerge bat, die Körper der Gefallenen für die Bestattungen vorzubereiten blieb Rorek bei Alrik. Dern erstattete Bericht.
"Es bleibt bei drei Verlusten, sofern Alrik nicht doch noch überlebt. Thurgrom und Kazran sind beide tot. Alle sechsundvierzig Dorfbewohner sind erschlagen, wir konnten für die Verwundeten nichts mehr tun. Wir haben Theredred gefunden – einer der Ältesten hat lange genug gelebt um auf ihn zu zeigen. Er starb mit einem Messer in der Hand bei dem Versuch, die Ältesten zu verteidigen. Seinen anderen Arm haben diese Bestien wohl gefressen. Er muss verblutend noch auf seinen Feind zugekrochen sein und starb dabei. Gottri hat den Drachenhund erschlagen.
Wenigstens zehn der Dorfbewohner sind nach dem Zusammenbruch der Mauer bei dem Versuch gestorben, die Bresche zu halten. Wir haben leider keine Hinweise gefunden wer sie genau waren. Niemand von uns ist mit ihnen verwandt gewesen. Die neun Verlorenen können wir aber zweifelsfrei erkennen.
Weitere drei..."
Balin hob die Hand und unterbrach Dern. "Sei so gut und erspar' mir das, ja? Wir sind zu spät gekommen um sie zu retten. Nun wollen wir sie wenigstens anständig bestatten. Außerdem müssen wir Grim wohl einen Boten schicken um ihm das Schicksal des Dorfes mitzuteilen. Lass mich darüber nachdenken, ja?"
Sie sammelten die Körper der Toten und brachten sie in einer langen Reihe an der gefallenen Mauer unter. Am frühen Nachmittag kam Rorek aus dem Gebäude und trat zu Balin. Balin sah in Roreks Gesicht. "Ist er tot?" Rorek nickte und sah zu Boden. Balin überlegte kurz und sagte dann: "Rorek, kannst Du Stein behauen?" Rorek sah überrascht auf und meinte dann: "Nicht besonders gut, wenn Ihr versteht." Balin nickte und sagte dann: "Es wird genügen. Wir werden ein Totenhaus errichten und werden dafür eine Inschrift brauchen. Damit beauftrage ich Dich. Du hast ein bisschen Zeit, also suche Dir einen geeigneten Stein und Werkzeug aus der Mine."
Rorek nickte. Balin wandte sich an Dern: "Dern, wir brauchen einen Boten, der nach Hohenstadt geht um Grim zu unterrichten. Wir bleiben hier bis er zurückkehrt." Dern nickte und Rorek warf schüchtern ein: "Meister, wenn ich einen Vorschlag machen darf..." - "Bitte." - "Schickt den Boten nur zur Festung Roßtal. Dort haben sie sicherlich Boten und können auch rasch Entsatz schicken, sollte das sinnvoll sein. Vielleicht können sie uns sogar helfen, alle Toten zu erkennen. Dann liegen sie nicht in namenlosen Gräbern."
Balin lächelte. "Ein guter Vorschlag, Rorek. Dann eben so. Dern, wen sollen wir schicken?" Dern dachte kurz nach. "Ich würde Ulther und Borim schicken." - "Gut, richte ihnen meine Wünsche aus. Sie sollen morgen früh aufbrechen. Der Rest von uns wird damit beginnen das Totenhaus zu errichten. Es muss kein Prachtbau werden, es genügt erst einmal seine Funktion. Vor allem die steinernen Särge müssen ordentlich gemacht werden. Für die gefallenen Höllenhunde errichten wir ein kleines, separates Haus."
Dern sagte: "Natürlich. Und was ist mit den Verlorenen?"
Balin hob die Schultern. "Eigentlich sollten wir sie ja bei ihren Kameraden im Wald bestatten. Können wir sie schnell genug dorthin schaffen?" Dern deutet auf die Kamele die angebunden etwas abseits standen. "Die stammen von einer Karawane, nehmen wir jedenfalls an. Die Karawanenführer dürften hier auch unter den Toten liegen – wir wissen aber nicht wer das sein könnte. Jedenfalls können wir recht schnell einen Wagen bauen und die Verlorenen damit zurück in den Wald schaffen. Zwei Mann sollten eigentlich genügen um das zu tun, aber anstandshalber sollten wir vier schicken."
"Gut.", sagte Balin. "Dann haben wir ja erst einmal jede Menge zu tun. Vorwärts."
Die Zwerge machten sich an die Arbeit und am nächsten Morgen begruben sie ihre Toten. Ebenso wie die meisten der anderen war Rorek vollends mit seiner Aufgabe beschäftigt so dass ihm nur wenig Zeit blieb um zu grübeln, was wohl auch in Balins Absicht gelegen hatte. Bereits drei Tage später kam eine große Abordnung aus der Festung Roßtal. Hauptmann Ramesh von der 2. Kompanie begrüßte Balin und versicherte ihm, dass bereits ein Bote unterwegs zu Grim sei. Balin bat den Hauptmann mit seinen Mannen die Arbeit hier zu beenden und seine Leute freizustellen, damit sie ihren Kameraden zum Wald folgen konnten.
Ramesh tat weit mehr als das – er stellte sechs Fuhrwerke bereit welche die Zwerge mit gutem Granit beluden um die Toten am See ordentlich bestatten zu können. Durins verbliebene Höllenhunde – der Name war an ihnen hängen geblieben und Balin tat es mit einem Schulterzucken ab – reisten zurück in den Wald zur ehemaligen Holzfällerkolonie, die sie Cerberus tauften.
Sie begruben die Verlorenen ein einem steinernen Haus und errichteten Theredred eine eigene Grabstätte. Eine Woche verwandten Ketil, Mordin und Gorm darauf für das Grab eine Statue zu hauen. Sie zeigte Theredreds Gesicht und wies mit einer Hand nach Bärenberg, während die andere Hand warnend in die andere Richtung erhoben war.
Als Rorek die Statue das erste mal erblickte verstand er, was Balin gemeint hatte. Theredred würde immer in Erinnerung bleiben, vielleicht nicht unbedingt als der Zwerg der er war, aber als Vorbild und Held, ein ewiger Wächter dieses Waldes. Eine Inschrift am Sockel der Statue erzählte seine Geschichte.
Als ihre Arbeit beendet war zogen Durins Höllenhunde unter Balins Führung weiter – nach Moria.