- Geschichten aus Durins Landen -
Zwergengambit
Kapitel 1
Worin der Rat eine Sitzung hat und ein fremder Ork das Land betritt.
Die Glocke an der Väterzinne läutete und Durin, der Enkel Durins, warf unentschlossen den Hühnerschenkel auf den Teller zurück und leckte sich die fetttriefenden Finger. Kein sonderlich königlicher Aufzug, aber er hatte noch Zeit sich die Hände zu waschen und die Krone aufzusetzen – ein einfaches Silberdiadem mit einem einzigen grünen Smaragd darin, der auf seiner Stirn prangte.
Zu spät zu einer Ratssitzung zu erscheinen galt als ausgesprochen unhöflich gegenüber dem König, aber der war er ja glücklicherweise selbst. Die heutige Sitzung des Ältestenrates – von der Mittagsstunde an, eine Tradition deren Sinn Durin angesichts seines nur halb gegessenen Mahles immer mehr zu bezweifeln begann – versprach zumindest interessant zu werden.
Skag und Kurgan, zwei Ratsherren die auch jeweils eine große Sippe anführten, hatten ernste Einwände gegen einige von Durins nächsten Vorhaben vorgebracht. Nicht, dass sie irgendetwas an Durins Entscheidungen ändern konnten aber Durin achtete darauf, was ihm der Rat zu sagen hatte. Nicht selten brachten sie ihn auf gute Gedanken oder aber hielten ihn von allzu offensichtlichen Fehlern ab.
Manchmal allerdings waren sie auch einfach Opposition um der Opposition willen und es war nicht immer leicht, den Unterschied zu erkennen. Durin wurde zwar immer besser darin, die Schliche mancher Ratsmitglieder zu erkennen, aber das hieß noch lange nicht, dass er in der Lage war, mit den erfahrenen Zwergen mitzuhalten.
So hatte er vor einigen Jahren praktisch nicht begriffen, dass sein Vetter Grim in der Tat seine Sippe von den anderen fernhielt und im Grunde ein doppeltes Spiel trieb um entweder Durin loszuwerden und ihn zu ersetzen oder aber um sich von ihm loszusagen.
Natürlich waren er und Grim nie das gewesen, was man Freunde nennen konnte. Sie waren Vettern( Grims Vater Thérin war Laurins Bruder gewesen) und daher zusammen aufgewachsen. Grim war ein paar Jahre älter als Durin was aber angesichts der Lebensspanne der Zwerge nicht wirklich von Bedeutung war. Dennoch, gerade während ihrer Adoleszenz war Grim, stets den Kopf voller Flausen, nie um einen gemeinen Streich verlegen gewesen.
Jahre später, nach dem Krieg und nachdem Durin die schwere Aufgabe übernommen hatte, die Überreste ihres Volkes aus dem Chaos beim Rosengarten herauszuführen, waren sie Partner bei so mancher schwierigen Wanderung gewesen und hatten zusammengehalten als sie wie Nomaden durch die Lande zogen, immer auf der Suche nach einer Heimat, aus der man sie nicht gleich wieder fortjagen würde.
Als aber Durin – der sich sehr für die Geschichte seiner Familie interessierte und von daher auch mit der Geschichte des Volkes gut vertraut war – sich an Moria und die Legenden über die alten Hallen der Zwerge erinnerte, war eine Veränderung mit Grim geschehen die Durin weder erwartet noch bemerkt hatte.
Am Ende war es Skaldor gewesen der ihn darauf brachte, dass Grim eine große Belohnung von Durin erwartete und ansonsten keinesfalls gewillt war, mit ihnen bis Moria zu ziehen.
So bestimmte Durin ihn nach einer Unterredung, die beinahe in Handgreiflichkeiten ausgeartet war, zum Protektor der westlichen Provinz und sorgte somit dafür, dass Grim eine verhältnismäßig kleine und nahe Provinz erhalten hatte. Grim hatte verstanden was Durin befohlen hatte aber da er bekam, was er wollte und zeitgleich nicht bekam was er wollte war ihm auf die Schnelle der Wind aus den Segeln genommen worden. Mittlerweile waren darüber auch einige Jahre ins Lang gezogen und Grim und seine Sippe stellten lediglich jedes Jahr im Monat Kalter Mond ein Problem dar, wenn die Steuern nachgefordert werden mussten.
Durin wusch sich die Finger in der kleinen Silberschüssel, blickte noch einen Moment aus dem Fenster, das nach Süden wies und ihm so einen prächtigen Blick auf die Ebene und vor allem andeutungsweise die Drachenberge im Süden gestattete, schob das Diadem auf die Stirn und ging dann los.
Der Ratssaal war natürlich längst gefüllt und die zwölf Ratsmitglieder saßen auf ihren unbequemen Stühlen und erwarteten den König. Als Durin durch die großen Flügeltüren schritt, sprangen die Ratsmitglieder auf und ebenso wie jeder andere Zwerg im Saal verneigten sie sich vor ihm.
Durin schritt durch den Saal und bedachte den einen oder anderen von ihnen mit einem Lächeln oder einem knappen Nicken, dann stellte er sich vor seinen Thron. Die Wachen schlossen die Flügeltüren nicht, denn heute war eine öffentliche Sitzung des Rates und nicht wenige aus seinem Volk waren gekommen, um sich anzuhören worüber ihre Führer zu beraten hatten.
Dem König gefiel diese Situation meistens, konnte er doch so seine Stärke als gütiger Herrscher ausspielen und Ratsmitglieder wie Skag verschlossen ihre Herzen meistens in diesen öffentlichen Sitzungen.
Durin erhob seine Stimme und sagte: "Es ist die achte Sitzung des Rates im fünften Mond. Ich danke allen für ihr Erscheinen."
Damit war die Sitzung eröffnet und die Ratsmitglieder kletterten auf ihre Sitze. Sie waren absichtlich ein wenig unbequem denn niemand hatte so Lust eine Debatte um der Debatte willen ins Unendliche zu ziehen. Eine kluge Idee, die aber auch nicht immer funktionierte, denn der Redner stand ja meistens.
Der König ließ seinen Blick über die versammelten Mitglieder des Ältestenrates schweifen und fragte sich, wer wohl die Tagesordnung beginnen würde, schließlich hing sie aus und jeder wusste, dass die ersten Themen eher langweiliger Natur waren. Sein Blick blieb kurz auf Kurgan hängen, dem Ältesten unter den Ratsmitgliedern und sofern es nach Durin ging auch dem Verstocktesten. Kurgan war wenigstens sechshundert Jahre alt und er schien all diese Zeit und Erfahrung dazu genutzt zu haben seine Erkenntnisse in Bergkristall zu fassen und dann verstauben zu lassen. Wenn Kurgan eines auszeichnete, dann die Tatsache, dass er von seiner Meinung auch dann nicht abwich wenn um ihn herum das ganze Gebäude brannte. Das war sicher manchmal praktisch, aber meistens stand Kurgan sich, seiner Sippe und nicht selten auch Durin im Weg.
Dorin hingegen, der neben Kurgan saß und nur ein wenig jünger war, gehörte zur Sippe von Himela, einer Zwergin der unerhörterweise das Privileg zuteil geworden war, als erste Zwergin überhaupt zum Protektor ernannt worden zu sein. Durin grinste verstohlen wie er es immer tat wenn er Dorin betrachtete – der alte Zwerg erinnerte ihn einfach jedes mal daran, dass Kurgan kurz vor einem Herzinfarkt gestanden hatte als man ihm diese Neuigkeit mitgeteilt hatte.
Ein paar Plätze neben Dorin saß Skaldor, der jetzt auch prompt aufsprang als des Königs Blick ihn traf und sich verneigte. "Mein König, ich schlage vor wir beginnen die Sitzung mit dem ersten Tagesordnungspunkt. Die Wache im Panamawald hat gemeldet, dass der Nachschub an Nahrung aus den Städten der Menschen an der Goldküste sich immer wieder verzögert und bittet daher um das Jagdrecht und das Privileg des Handels mit Fellen."
Durin nickte ihm zu und Skaldor setzte sich. Jalgat, ein Zwerg in den mittleren Jahren, dessen roter Bart bereits von einigem Weiß durchsetzt war, stand auf und sagte: "Das halte ich für eine gute Idee. Vielleicht erspart das den südlichen Provinzen sogar dauerhaft die Lieferungen was wiederum der Entwicklung von Belegars Gebieten zugute kommen dürfte."
Er setzte sich und Kurgan meldete sich, indem er etwas schwerfällig aufstand. "Ich weiß nicht recht. Das Recht zu jagen ist eigentlich dem König vorbehalten und vielleicht seinen Fürsten und Baronen, aber wenn wir den Wachmannschaften dort die Jagd gestatten steht uns binnen kurzem eine Meuterei ins Haus wenn das die Wachen zum Beispiel hier in Moria nicht auch dürfen."
Auralm, der Herr der Schmiede stand auf und bemerkte: "Die Wachen hier sind nicht in der tiefsten Provinz und dürfen sich, wenn sie frei haben, sehr wohl den Jägern anschließen, Kurgan. Und die Jäger sind mit königlicher Erlaubnis unterwegs, denn, bei allem Respekt, Eure Majestät können nicht für alle Zwerge Morias das Wild fangen."
Hier und da flackerte Gelächter auf und Durin bedachte Auralm mit einem Kopfschütteln obwohl er selbst lächelte. Auralms treffende, selten beleidigende, aber immer eine Spitze enthaltende Bemerkungen waren wie ein kühler Krug Bier an einem heißen Sommertag. Eine Gabe, die der König sehr wertschätzte.
Er hob die Hand und unterbrach damit die Debatte. "Die Wache soll auf die Jagd gehen. Außerdem schicken wir einige Pferdewagen hin, vielleicht kann das die Lieferungen verbessern. Wenn sie handeln wollen sollen sie das tun aber daran denken, dass die königliche Schatzkammer drei von zehn Silber bei Handelsgeschäften erhält."
Damit war die Sache entschieden und der Rat widmete sich dem zweiten Punkt.
Der König und, wie er mit einem Blick bemerkte, auch die Untertanen langweilten sich zäh durch die nächsten Punkte, Getreidelieferungen an die Eisenburg, die Steuern von Grim waren eingetroffen, Waffen aus den Drachenbergen standen für die Krieger bereit, die gerade in der Wüste ausgebildet wurden und so weiter.
Durin musterte verstohlen die goldene Inschrift, die den Boden zierte und den anwesenden Rat daran erinnerte, welche Opfer ihnen hier in genau diesen Räumen abverlangt worden waren. Eigentlich kein gutes Omen für den letzten Tagesordnungspunkt.
Beim vorletzten Punkt aber wurden die Debatten wieder lebhafter. Skag, ein in seiner Sippe sehr geachteter Zwerg, führte wortreich aus, dass die Kolonie im Zwergenwald bislang keine Meldung gemacht hatte. Durin versuchte, sich die Einzelheiten dieser Begebenheit wieder ins Gedächtnis zu rufen als Vikram ihm das wortreich abnahm.
Er stand auf uns sagte: "So, Skag, Du hast also nichts mehr von Deinem Sohn gehört. Fein. Ich übrigens auch von meinem nicht. Vor acht Wochen schickten wir die Zwerge unter der Führung Deines Sohnes in den Wald um eine kleine Enklave zu errichten. Wundert Dich, dass er noch nicht nach der Mutterbrust schrie? Oder was willst Du uns damit sagen? Acht Wochen sind keine lange Zeit – bis sie einen geeigneten Platz gefunden haben mögen schon einige Tage vergehen. Vielleicht wurden sie aufgehalten. Hast Du so wenig Zutrauen zu Deinem Sohn, dass Du von Sven einen täglichen Bericht brauchst?"
Er setzte sich und wie erwartet explodierte Skag und vergaß vor Aufregung sogar sich von seinem Stuhl zu erheben.
"Dein Verhalten ist beschämend, Vikram, und auch der Onkel des Königs kann so nicht im Rat sprechen. Ich habe das höchste Maß an Zutrauen zu Sven, darum habe ich ihn ja für diese Mission dem Rat empfohlen!" Er ließ seinen Blick hochmütig über den Rat und die Zuschauer schweifen und als sein Blick beim König anlangte erstarrte er, stand auf und verneigte sich. "Ich bitte um Vergebung, mein König."
Durin bedeutete ihm mit der Hand fortzufahren und Skag wandte sich wieder allgemein an den Rat: "Ich fordere lediglich den Rat auf, Nachforschungen anzustellen ob ich der einzige bin, der bislang nichts von ihnen gehört hat. Wie sich der Rat vielleicht erinnern möchte – sofern er dazu in der Lage ist", fügte er mit einem Seitenblick auf Vikram hinzu was dieser mit einem amüsierten Lächeln zur Kenntnis nahm, "befahlen wir Sven, nach sechs Wochen einen Boten zu schicken um uns über die Fortschritte oder die Schwierigkeiten zu unterrichten. Der Bote mag sich um ein paar Tage verzögern, aber zwei Wochen sind ein Anlass zur Beunruhigung. Vielleicht ist der Bote unterwegs verschollen aber vielleicht wurde er gar nicht entsandt."
Er setzte sich und Durin legte den Kopf schräg und dachte nach. Sie hatten nach einer zähen Debatte rund einhundert Zwerge in den Wald geschickt, eigentlich eine Aufgabe welche die Zwerge lieber an Menschen weitergaben aber sie hatten auf die Schnelle keine menschlichen Holzfäller finden können und schließlich kam der Rat auf den Gedanken, selbst zwergische Holzfäller zu schicken. War es nicht Skags Idee gewesen? Durin dachte an die lebhafte Debatte. Ja, es musste Skags Idee gewesen sein und das würde erklären warum Vikram so vehement dagegen gewesen war.
Durin winkte eine Wache zu sich und flüsterte ihr kurz etwas ins Ohr. Dann wandte er sich dem Rat zu und sagte: "Tatsächlich bin ich selbst neugierig, wie es wohl den Zwergen im Wald ergangen sein mag. Weiß der Rat um die genaue Liste von Kameraden, die Sven mitzunehmen gedachte?"
Skag stand auf und verneigte sich erneut. "Mein König, ich müsste eine solche Liste in meinen Papieren haben. Wenn ihr wünscht, dann hole ich sie Euch." Durin gab ihm einen Wink und Skag wiederum winkte einen seiner Adjutanten zu sich und flüsterte ihm kurz etwas ins Ohr, woraufhin sich selbiger sofort aus dem Staub machte.
Ratsherr Jorborix stand auf und sagte: "Meine Sippe hat acht Zwerge mit Sven Fierless mitgeschickt. Ich kann mich aber nicht entsinnen, von ihnen etwas gehört zu haben, mein König." Durin nickte ihm freundlich zu und Jorborix setzte sich wieder. Er war der Älteste seiner Sippe und im Grunde ein gutmütiger Zwerg aber nicht gerade das schärfste Messer im Besteck des Königs. Seine Fragen in so mancher Debatte – auch heute, denn er verstand nicht (oder wollte nicht verstehen), was ein Pferdewagen mit zwergischem Handel zu tun haben sollte – sorgten in aller Regel für heimlich verdrehte Augen und zähe Stunden, bis man ihm auch das letzte Detail so erklärt hatte, dass er es verstanden hatte.
Darum hatte Durin vor einiger Zeit Durak in den Rat berufen, Jorborix' Großneffen zweiten Grades, der damit der gleichen Sippe entstammte und wesentlich klüger war als sein Onkel. Er blickte daher kurz fragend zu Durak, der ebenfalls den Kopf schüttelte. Na wenigstens war das gewiss.
Kurz darauf betrat ein anderer Zwerg die Halle. Er trug einen mit reichlich Ornamenten geschmückten Plattenpanzer über einem stahlgrauen Kettenhemd, was ihn als Mitglied der Wache Morias auswies. Die Verzierungen am Eisenkragen zeigten, dass er Hauptmann war und somit ein hoher Offizier.
Er betrat die Mitte des Ratskreises, verneigte sich und schwieg. Durin lächelte ihm zu und sagte: "Snorri, Hauptmann der Wache Morias. Wenn ich mich recht entsinne ist einer Deiner Söhne mit Sven Fierless mitgegangen."
Snorri verneigte sich erneut, schaute dann aber verlegen zur Seite. "So ist es, mein König. Theredred ist sein Name. Er ist sehr geschickt mit dem Beil und brannte darauf, seine Künste einmal unter Beweis stellen zu können." Durin nickte als sei ihm dies bekannt. "Nicht jeder kann ein guter Soldat sein, Snorri. Hast Du von Deinem Sohn eine Nachricht bekommen seit er aufgebrochen ist?"
Snorri dachte nach. Dann sagte er: "Zwei Wochen nach ihrem Aufbruch erhielt ich einen Brief, mein König. Die Gruppe war zu dieser Zeit in Wißheim und danach war er sich unsicher, ob er Post schicken könne und schrieb, er werde sich melden sobald ein ordentlicher Postdienst eingerichtet wäre."
Durin nickte ihm zu. "Danke, Snorri. Du kannst auf Deinen Posten zurückkehren."
Snorri verneigte sich erneut und sagte: "Zu Euren Diensten, mein König", bevor er sich abwandte und wieder ging. Durin war beinahe überzeugt, dass Snorri Skag einen kurzen Blick zugeworfen hatte, aber er war sich nicht ganz sicher.
Skag erhob sich, sobald Snorri den Raum verlassen hatte und sagte: "Ich habe die Listen hier, mein König. Wünscht Ihr, dass ich mit jeder Sippe spreche?"
'Ja, natürlich. Um sicherzustellen, dass sie das richtige sagen', dachte Durin und sagte laut: "Ich glaube, ich weiß noch einen Weg." Er ließ seinen Blick über die Ratsmitglieder schweifen und schließlich zu den Zuschauern. Dort blieb sein Blick an einem jungen Zwerg hängen, den er schon einige Male gesehen hatte.
Wie hieß er noch gleich? Er war als Knappe der Wachschar zugeteilt, fügte sich aber mitunter nur unwillig. Trotz der zum Teil unendlichen Regierungsgeschäfte nahm sich Durin hin und wieder die Zeit um sich nach den Fortschritten der jungen Zwerge in seinem Machtbereich zu erkundigen. Es gab nur so wenige von ihnen – die Zahl der Zwerge schwand.
Er hatte die gleichen Augen... ja, er erinnerte Durin an Sigrid, eine junge Zwergenfrau aus der Sippe von Skaldor. Durin war auch einmal richtig jung gewesen und im Alter zwischen zwanzig und hundertzwanzig Jahren kochte auch bei den Zwergen das Blut. Und Sigrid, die im Rosengarten sang und sich unter den Wasserfällen die Füße wusch... Rorek hieß der Junge.
Sigrid hatte den jungen Prinzen nicht einmal bemerkt gehabt und Durin hatte keine Ahnung, wie er sich einer so schönen Frau nähern sollte – und Sigrid war auch längst verheiratet gewesen mit jenem anderen Durak – der wiederum Roreks Onkel war.
Aber der junge Rorek hatte ihre Augen – und auch etwas von ihrem Gebaren, dachte Durin. Soweit ihm Vikram berichtet hatte langweilte sich Rorek in den Bücherstuben und mochte die Schulbildung, die allen jungen Zwergen erteilt wurde, damit sie verstanden, woher sie kamen und warum sie nun hier waren, überhaupt nicht.
Das gefiel Durin irgendwie. Er winkte Rorek zu sich heran und sagte: "Komm mal her, junger Rorek." Der Angesprochene machte ein überraschtes und dann fast ängstliches Gesicht. Durin winkte erneut und irgendjemand hinter Rorek gab ihm einen Stoß, so dass Rorek einige Schritte nach vorne stolperte. Als er dicht beim König stand, sah Rorek auf seine Stiefelspitzen und murmelte etwas.
Durin lächelte und sagte: "Geh und such' mir bitte den alten Balin. Er wird wohl in der Taverne sein. Bring ihn her." Rorek nickte und stob davon. Natürlich vergaß er, sich zu verneigen.
Der König wandte sich an den Rat und sagte: "Balins Sohn ist ebenfalls auf dieser Fahrt, soweit ich mich erinnere. Wir werden ihn noch befragen und dann entscheiden."
Skaldor stand auf und verneigte sich. "Eure Erlaubnis vorausgesetzt, mein König, würde ich dann den letzten Punkt der Tagesordnung vorziehen. Unser Gast." Durin gab Skaldor einen Wink und die Flügeltüren zum Thronsaal öffneten sich und ein Ork betrat den Saal. Er trug ein rotes Zeichen auf seinen zerschlissen wirkenden Kleidern und die Zuschauermenge teilte sich rasch um ihm Durchlass zu gewähren.
Der Ork bemerkte die teilweise angewiderten Mienen sehr wohl, aber sein eigenes Mienenspiel blieb erstaunlich ruhig. Er fletschte ein wenig die Zähne, gab aber keinen Ton von sich. Schließlich erreichte er den Ratskreis und verneigte sich sparsam vor dem König. Durin nickte ihm zu und sagte: "Ich grüße Euch, Botschafter Uglûz von den RedOrks." Der Angesprochene ließ den Blick kurz in die Runde schweifen und erstmalig zeigte sein Mienenspiel eine kleine Regung: Er verbiss sich offenbar ein Grinsen. "Durin, König von Durins Enkeln, ich grüße Euch. Die RedOrks entsenden mich als Botschafter in Eure Hallen und erbitten im Gegenzug ebenfalls einen Botschafter nach Orkenhort im Norden. Dem Botschafter wird freies Geleit zugesichert. Das wird Verhandlungen über Grenzziehungen zwischen unseren Reichen vereinfachen."
Er grinste dieses Mal tatsächlich und Durin gestattete sich ein kühles Lächeln. "Ich höre Eure Worte und bin geneigt ihnen zu folgen. Dennoch wird der Rat zuerst Euer Angebot beraten. Wir werden Euch von unserer Entscheidung unterrichten."
Der Ork nickte knapp, deutete eine Verbeugung an und verließ die Halle. Es dauerte nicht lange und Skag sprang auf. "Mein König, verzeiht meine offenen Worte, aber das kann doch nicht Euer Ernst sein!" Skaldor stand ebenfalls auf und sagte: "Ich weiß nicht so recht – bei dem Gedanken, hier einen Ork zu tolerieren, fühlt sich glaube ich keiner wohl. Warum sollten wir das tun?"
Durin hob eine Hand und die beiden setzten sich wieder. "Ich würde zuerst gerne erfahren, wer sich spontan gegen den Ork in unseren Hallen aussprechen will." Kurgan stand auf und kurz darauf Jorborix und Skag. Skaldor, Dorin und Jalgat folgten ihnen und auch der junge Durak stand plötzlich neben seinem Onkel. Auch Grindol stand auf – schwerfällig wie immer, dachte Durin leicht gehässig. Er nickte den Zwergen zu und bat sie, sich wieder zu setzen.
Vikram erhob sich und sagte: "Die RedOrks sind ein Volk von Orks, das an die nördliche Küste dieses Kontinents gespült worden ist. Unsere Späher begegneten den ihren vor etwa einem Monat. Beinahe wäre es zu einem Schusswechsel gekommen, aber der RedSpäher stürzte unglücklich und brach sich das Bein. Unser Späher beschloss, den Ork nicht zu töten und sie sprachen eine Weile miteinander – natürlich in der Menschensprache. Schließlich schiente er dem Ork das Bein und half ihm, wieder nach Hause zu kommen.
Das war der Beginn einer eigentümlichen Art des Kontaktes. Wir tauschten Botschaften aus und in der Tat haben sich die Orks entlang unserer Nordgrenze breitgemacht. Sie überschritten sie allerdings nicht, sondern boten stattdessen einen Gesandten an. Der ist nun hier."
Er setzte sich und Kurgan stand auf. "Wie lange seid Ihr denn schon eingeweiht, Vikram?" Der Angesprochene lächelte und sagte: "Ungefähr seit einem Monat."
Kurgan runzelte die Stirn. "Der König weihte also Euch ein und nicht den ganzen Rat. Was mag wohl seine Absicht gewesen sein?"
Durin runzelte nun seinerseits die Stirn. Eine solche Respektlosigkeit war äußerst ungewöhnlich und das auch noch ganz besonders für Kurgan, der sonst viel Wert auf Etikette legte. Er sagte aber nichts sondern überließ es Vikram, die Auseinandersetzung zu führen.
"Eigentlich war es eher umgekehrt. Der Späher kam aus meiner Sippe. Er kam zu mir und erzählte, was er getan hatte. Dann bekamen wir einen Gesandten mit einer Dankesbotschaft. Daraufhin ging ich mit dieser zum König. Wir schickten eine Antwort. So einfach ist das."
Kurgan schüttelte sich. "Ihr wollt einen Ork hier dulden, noch dazu einen, der von einer Horde stammt, die unsere Grenze bedroht, wie Ihr sagt? Habt Ihr denn alle den Verstand verloren?" - "Von 'bedroht' war nie die Rede, meine ich.", sagte Auralm und stand auf. "Die Orks sind im Norden, ja. Wir haben die Lande dort nur marginal erkundet. Bislang konzentrieren wir uns auf die Verwaltung dessen, was uns wirklich zusteht, nicht aber auf die Eroberung."
Er setzte sich und Kurgan stand wieder auf. "Natürlich nicht. Aber Orks werden das tun, sie tun es immer. Habt Ihr vergessen, was mit unserem Volk geschehen ist?" - "Natürlich nicht. Genau deswegen sollten wir uns ja mit ihnen unterhalten statt sie zu erschlagen und am besten geht das nun einmal, wenn einer von ihnen hier ist."
"Orks in unseren Hallen! Orks, die ihre schmutzigen Füße auf das Grab Durins stellen während sie uns ihre Forderungen diktieren! Niemals kann ein Zwerg aus der Sippe Durins sich dies bieten lassen. Alleine der Vorschlag ist Wahnwitz!", wütete Kurgan und schüttelte seinen Stab. Sofort sprang Vikram auf und hielt seine Gegenrede: "Was ist denn Euer Gegenvorschlag, mein lieber Kurgan? Sollen wir, die wir gerade Fuß fassen in diesen Bergen, etwa gleich Krieg führen? Wir wissen doch gar nichts über das Volk dort im Norden. Wer weiß denn, wie zahlreich sie sind? Einen Krieg zu führen sind wir doch kaum in der Lage. Wir können unsere Hallen bewachen und wir bilden ein paar Kompanien aus – aber erst im Verlaufe der Zeit wird unser Volk soweit anwachsen, dass es eine militärische Macht sein kann. Willst Du Hunderte unserer jungen Zwerge ins Verderben führen? Ohne mich! "
Er setzte sich wieder und Kurgan machte Anstalten sich zu erheben, als Durin die Hand hob. Es reichte wirklich. Durin wusste, er musste die Entscheidung fällen und im Grunde hatte er das längst, aber es wäre sicherlich klug, dem Rat das Gefühl zu vermitteln, er habe ihre Ansichten sorgfältig durchdacht. Also sagte er: "Genug. Ich habe Eure Ansichten gehört. Morgen zur Stunde des vierten Hammerschlages werden wir wieder zusammenkommen und ich werde Euch meine Entscheidung mitteilen."
Kurgan sah aus als wollte er gleich wieder auffahren, aber ein Blick zu Grindol ließ ihn schweigen. Durin war sich darüber im Klaren, dass die Opposition hier stark sein würde, aber mit Skaldors und Duraks Ablehnung hatte er nicht gerechnet. Er würde mit Vikram darüber sprechen müssen, sobald diese leidige Sitzung vorbei war. Wo blieb eigentlich Balin?
Durin sah sich in der Halle um, aber er entdeckte ihn nicht. Dafür Rorek, der offensichtlich nervös war. Balin war also betrunken und Rorek wusste nicht, wie er es sagen sollte. Dem konnte Durin aber abhelfen und er fragte: "Nun, Rorek? Hast Du meinen Auftrag ausgeführt?"
Rorek trat einen Schritt nach vorne und sank auf die Knie. "Nicht ganz, mein König.", sagte er unbeholfen. Durin sah ihn abschätzig an, aber seine Miene gab nichts preis. Dann fragte er: "Und wie darf ich das verstehen?" Rorek schluckte, dann sagte er: "Ich habe ihm ausgerichtet, dass... Also ich habe ihm gesagt, dass Ihr..."
Durin lächelte und unterbrach das Gestammel. "Ich werde Dir schon nicht den Kopf abreißen, Rorek. Sammle Dich und probiere es noch einmal."
Rorek räusperte sich, blickte aber weiter zu Boden als er es noch einmal versuchte: "Mein König, ich habe ihm ausgerichtet, dass Ihr ihn zu sehen wünscht. Er war nur leider... unpässlich."
Durin nickte, als habe er genau diese Antwort erwartet. "Und ich nehme an, er weigerte sich, zu kommen?"
Rorek hob die Schultern und sah dem König kurz ins Gesicht, bevor er hastig den Blick wieder senkte. "Er wollte nicht so recht, mein König. Aber er ist..." - "Unpässlich, das sagtest Du schon. Nun gut...", sagte Durin und gab zwei der Wachen einen Wink, die sich sofort durch die Menge drängten.
"Das wird kaum nötig sein, Durin!", ertönte eine volle Stimme vom Eingang der Halle her.
Der König blickte zum Eingang und dort stand Balin. Er trug keine Waffen aber seine ganze Körperhaltung strotze vor Herausforderung. Er schritt durch die Zuschauer und trat vor Durin. Der König stand noch und machte keine Anstalten, sich zu setzen.
"Du hast nach mir geschickt, mein König?", fragte er in einem höchst angriffslustigen Tonfall. Durin grinste und dachte: 'Na, das Spiel kann ich auch.' Laut sagte er: "Gut, dass Du gekommen bist, Balin. Sogar halbwegs nüchtern, welche Überraschung...."
Ein leises Lachen, nicht selten hämisch, lief durch die Halle. Balin gab durch keine Regung zu erkennen ob er die Beleidigung als eine solche empfand und hob die Schultern. "Ein alter Zwerg darf sich ja wohl hin und wieder einen Schluck Bier gönnen, oder? Jetzt jedenfalls bin ich da, also was willst Du?"
Durin wurde ernst und schritt zu seinem Thron zurück. Als er darauf saß sagte er: "Wir haben seit zwei Monden keine Nachricht von unserer Expedition in den Zwergenwald gehört. Ich wollte in Erfahrung bringen ob Dein Sohn Dir vielleicht eine Nachricht geschickt hat."
Balin lachte. Dann sah er Durin mit einem Ausdruck an, der an Majestätsbeleidigung grenzte. "Mein König, wenn er eine Nachricht geschickt hätte, dann eher Dir als mir. Ich habe nichts mehr von ihm gehört seit er beschlossen hat statt nach Gold zu graben lieber nach Holz zu suchen. War das alles?"
Durin lachte und schüttelte den Kopf. "Das war alles, was ich von Dir wissen wollte, ja. Nun, nachdem Du so viel von Deinem Sohn hältst wüsste gerne, ob Dich interessiert, was ihm wohl zugestoßen sein mag?"
Balin warf einen kurzen Blick auf den Rat, der schweigend dasaß und keine Miene verzog. Durin wunderte das nicht. Der Rat verdaute noch immer die Sache mit dem Ork und das sogar ohne dass sie schon wussten, was er vorhatte. Der König richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den alten Zwerg. Ob Balin ahnte, was ihm blühte? Durin schätzte den alten Zwerg außerordentlich, aber Balin war in den letzten Jahren schwierig geworden. Der Verlust seines Weibes, sein Sohn, der dem Vater keinen Respekt zollte und sein Hang zum Bier machten Balin das Leben zwar nicht leicht, aber Durin hatte beschlossen, dass Balin eine Veränderung gut tun würde. Und gerade kam ihm eine gute Idee, wie er das bewerkstelligen konnte.
Etwas schleppend sagte Balin: "Was mein Sohn und dieser Sven dort treiben, mag sich meiner Kenntnis entziehen, mein König. Aber es liegt mir auch nicht daran, es in Erfahrung zu bringen."
Durin nickte. "Das habe ich mir gedacht. Darum wirst Du morgen früh aufbrechen um es herauszufinden. Da es sein kann, dass die Expedition in Gefahr ist, werde ich Dir einige Krieger mitgeben."
Balin erstarrte. "Mein König, ich sagte doch..:"
Durin hob erneut seine rechte Hand und brachte ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen. "Ich habe Dich gehört, Balin. Und ich bin den Hader und den Zwist leid, den Du hier zu verbreiten scheinbar als Deine Lebensaufgabe betrachtest. Ich bin es auch leid, dass Du, nur um mit mir, ausgerechnet Deinem König, Streit anzufangen, Dich mit Deinem Sohn entzweit hast. Das ist nicht unsere Art.
Dein Auftrag lautet also in den Zwergenwald zu reisen und in Erfahrung zu bringen, wie sich die dortige Siedlung macht. Außerdem wirst Du Dich mit Deinem einzigen Kind versöhnen. Dann wirst Du mir Bericht erstatten.
Morgen früh, Balin. Deine Kameraden werde ich heute im Verlauf des Tages auswählen. Du wirst mit den ersten Sonnenstrahlen aufbrechen. Also schärfe Deine Axt!"
Balin schwankte und einmal mehr schien er seinen Zustand zu ändern. Auf einmal wirkte er wirklich betrunken. Durin erkannte, dass er den Bogen überspannt hatte. Er warf kurz einen Blick auf den jungen Rorek der das ganze mit schadenfroher Miene beobachtete und fasste willkürlich noch einen Entschluss: "Deinen ersten Reisegefährten kennst Du sogar schon. Rorek wird sicher viel von Dir lernen können. Und sei es auch, indem Du ihm ein schlechtes Beispiel bietest."
Das schien Balin den Rest zu geben.
Die Ratssitzung war eilig abgebrochen worden und Durin saß mit Vikram und seiner Schwester Asta in seinen Gemächern. Asta kicherte, als Durin für sie die Ereignisse des Tages zusammenfasste und er warf ihr einen finsteren Blick zu.
"So komisch ist das gar nicht. Ich will Balin eigentlich nur helfen aber ich glaube fast, dass das ein Fehler ist." Vikram trank einen Schluck Bier, wischte sich genießerisch über den Bart und sagte dann: "Durin, das war eine brillante Idee." Durin hob unglücklich die Schultern. Vikram nickte nachdrücklich. "Doch, wirklich. Ich kenne eine Menge Zwerge, die Balin schon längst aufgegeben hätten, aber Du hast immer fest zu ihm gestanden." Da dies eine informelle Sitzung mehr innerhalb der königlichen Familie war, verzichteten sie auf Förmlichkeiten.
"Was ich aber nicht so ganz begriffen habe ist, warum Du diesen Jungen mit ihm mitschickst." Durin hob die Schultern. "Rorek hat nicht viel für Balin übrig. Ich weiß nicht was zwischen den beiden vorgefallen ist, aber er hatte mit solcher Schadenfreude Balins Urteil vernommen, dass ich wütend geworden bin. Was bildet sich dieser Junge eigentlich ein? Naja, also muss er zur Strafe eben mitgehen."
Asta lächelte immer noch, sie hatte überhaupt gute Laune heute. "Er wird schon nicht gleich dran eingehen.", meinte sie und Vikram grinste. "Ja, vielleicht. Oder er verfällt auch dem Bier."
Durin lächelte säuerlich. "Ich weiß ja nicht... Naja, dann sollten wir ihnen aber ein paar Leute mitschicken, die auf den Jungen und auch auf Balin aufpassen. Ich will jetzt nicht den ganzen Tag damit vertun, wir haben Wichtigeres zu besprechen. Vikram, kannst Du Dich um die Leute kümmern?" Vikram nickte. "Danke. Ich denke, wir schicken Alrik mit, der sollte eigentlich in der Lage sein Balin im Zaum zu halten. Such Du die anderen aus." Vikram nickte erneut und fragte: "Rechnest Du mit Schwierigkeiten?"
Der König wiegte den Kopf hin und her. "Man kann nie wissen. Skags Unruhe ist nicht allzu weit hergeholt, oder?" Vikram hob die Schultern. Durin nickte bedächtig. "Ja, gib der Gruppe einige kampferfahrene Männer mit, notfalls ziehe welche aus der Wache ab. Mir ist lieber sie langweilen sich als dass die Erkunder ein mögliches schreckliches Schicksal der Kolonie teilen."
Vikram nickte, schrieb sich einige Dinge auf ein Stück Pergament und rollte dieses zusammen, um es in seine Armschiene zu stecken. Dann ergriff er erneut das Wort: "Hast Du Dich schon bezüglich dieses Orks entschieden?"
Durin lehnte sich zurück und trank einen Schluck von seinem Bier. Dann sagte er: "Natürlich. Wir werden eine neue Wohnebene ausheben, weit weg von unseren Minen und den wertvollen Bereichen. Dort schaffen wir Platz für die Botschafter und bauen einen Ratssaal für Verhandlungen mit ihnen."
Vikrams Augenbrauen wanderten nach oben. "Das wird ihnen nicht gefallen." Durin hob die Schultern. "Kann schon sein. Aber das braucht mich ja glücklicherweise nicht allzu sehr zu bekümmern, nicht wahr?" Vikram nickte unwillig und Durin lächelte. "Siehst Du? Wir machen es sogar richtig wohnlich – die Botschaftsquartiere bauen wir in den Südhang ein so dass jeder Botschafter einen Balkon bekommt und Sonne."
Vikram grinste. "Das wird dem Ork sicher gefallen. Sonnenlicht." Durin hob die Schulter. "Er kann ja Vorhänge anbringen lassen. Außerdem... naja, sagen wir einfach, er ist nicht der einzige, der in den nächsten Monaten dort einziehen wird."
Vikram sah ihn erstaunt an. Durin hob die Schultern. "An unseren Küsten landen immer mal wieder Schiffe. Wir sind nicht alleine und ich sehe keinen Grund, warum wir mit anderen Völkern gleich auf Kriegsfuß stehen sollten. Im Gegenteil." - "Im Gegenteil?" - "Vikram, mach Dir bewusst, wie wenige von uns noch da sind. Wir sind ein sterbendes Volk und unsere Zahl schwindet seit Jahrhunderten. Wenn die Legenden wahr sind, dann haben hunderttausende Zwerge einst das Reich Moria bewohnt. Zehntausende lebten im Rosengarten als ich dort geboren wurde. Wie viele sind wir jetzt? Einige tausend? Der Krieg um den Rosengarten ist natürlich schuld, aber das alleine war es nicht, nicht wahr? Unsere Zahl schwindet und wenn wir diesen Trend nicht aufhalten werden irgendwann die letzten Zwerge Fantasya verlassen haben."
Vikram nickte nachdenklich.
"Darum müssen wir versuchen, mit einigen Traditionen zu brechen", fuhr Durin fort und nippte nochmal an seinem Krug, "und eben auch mit unseren Nachbarn auszukommen. Denn was machen wir denn, wenn ein feindlich gesonnenes Heer plötzlich über die Grenze marschiert oder an unseren Küsten landet? Natürlich werden wir kämpfen und jeder Feind wird schön blöd dastehen wenn er keinen Nachschub hat. Manche haben ihn aber. Und darum brauchen wir Verbündete und auch Freunde – Zwerge sind gute Nahkämpfer aber wir haben nur wenige gut ausgebildete Schützen. Im Vergleich zu den Elfen verstehen wir nichts von Magie. Wir vermehren uns nicht so schnell wie Orks oder Menschen. Den Stärken dieser Völker nur unsere Stärken entgegenzusetzen ist kurzsichtig, auch wenn ein alter Schwachkopf wie Kurgan wahrscheinlich noch Jahre brauchen wird, um das zu begreifen. Mit unseren Stärken bieten wir nämlich auch unsere Schwächen an. Und die müssen wir auszugleichen suchen."
Durin trank erneut und gab Vikram Zeit über diesen Gedankengang nachzudenken. Asta warf Vikram einen Blick zu und fragte: "Aber wenn unsere Zahl so schwindet...?" - "Warum ich nicht heirate?", fragte Durin und grinste. Asta nickte und er hob die Schultern. "Irgendwann läuft schon noch die richtige für mich vorbei."
Vikram nickte. "Sicher. Und derweil verzehrt sich Himela nach Dir in den fernen Drachenbergen, was?" Durin wurde rot, grinste aber und alle lachten. Dann sagte Vikram: "Ich kann Deinen Gedankengang nachvollziehen aber das wird ein hartes Stück Arbeit." Durin hob die Schultern und sein Gesicht verdüsterte sich. "Ja, wahrscheinlich. Insbesondere jetzt wo anscheinend auch noch Durak und Skaldor zu Skag und Kurgan übergelaufen sind. Ich frage mich, was die wohl aushecken."
Asta schüttelte den Kopf. "Ich glaube, Du siehst zu schwarz. Ich..." sie unterbrach sich, weil es vernehmlich an der Tür klopfte. Durin stand auf und rief: "Ich lasse bitten."
Ein junger Zwerg betrat den Raum und verneigte sich tief. "Mein König, bitte verzeiht die Störung. Aber Ratsherr Durak wartet draußen und bittet um eine Audienz und das Privileg einer Unterredung." Durin warf einen überraschten Blick auf Vikram. "Meinst Du, die haben sich schon einen Plan zurechtgelegt und schicken jetzt Durak um ihn zu verkünden?"
Vikram schüttelte den Kopf. "Nein. Bis die den Jorborix erklärt haben vergeht noch einige Zeit." Durin grinste boshaft. "Na sehen wir mal, was er will." Asta stand auf. Durin warf ihr einen verwirrten Blick zu und sagte: "Ich lasse also bitten."